Arbeitsgemeinschaft der Naturschutzverbände im Vogelsbergkreis

Stellungnahme zum Teilregionalplan Energie  -  Avifauna-Gutachten
an das Regierungspräsidium Gießen vom 11.08.2014

 

Ob in Mittelhessen eine rechtssichere Basis für die nachhaltige Nutzung der Windenergie gefunden wird hängt wesentlich vom sachgemäßen Umgang mit den artenschutzrechtlich relevanten Tatsachen ab. Dem Umgang mit den vorliegenden Gutachten zur Natura2000 Verträglichkeit der Windkraftplanung im Vogelschutzgebiet Vogelsberg kommt dabei nach Auffassung der Arbeitsgemeinschaft der Naturschutzverbände im Vogelsbergkreis eine zentrale Rolle zu, denn: Über die Naturverträglichkeit der Windenergienutzung entscheidet in erster Linie die Standortwahl.

 

Seit Veröffentlichung der „Karte 11“ zum Teilregionalplan Energie und der einschlägigen Fachgutachten wird gegen die Aussagen dieser Gutachten Sturm gelaufen, mit dem Tenor: „Überzogener Vogelschutz lässt die Energiewende scheitern“. Wir, die Naturschutzverbände des Vogelsbergkreises, sagen:

 

Nur die sorgfältige Beachtung der naturschutzrechtlich gebotenen Fakten ermöglicht in unserer Region die nachhaltige Nutzung der Windenergie. Die gutachterlichen Aussagen dürfen nicht im (scheinbaren) Interesse kurzfristiger Projektierung verwässert werden:

-            In der Verantwortung für die Naturschätze  des Vogelsbergs und

-            Im Interesse der Planungssicherheit und damit einer fairen und regionalen Wertschöpfung.

 

1. Die bisherige Praxis

Tatsächlich sind bisher  sowohl die Genehmigungspraxis für Windkraftanlagen als auch die Erarbeitung des Regionalplans gezeichnet von Spannungen zwischen  der  planerischer Zielvorgabe einerseits (substantieller Raum für die Windkraftnutzung, d.h. 2 % der Landesfläche) und andrerseits der Berücksichtigung von naturwissenschaftlich überprüfbaren Sachverhalten (wie Windgeschwindigkeit oder avifaunistischen Bestandsschätzungen). Schon im Zuge der 1. Offenlage  hat das Planungsorgan Regionalversammlung nicht nur die Vorgaben des Landes kritisiert, sondern auch den vom gleichen Organ (der Regionalversammlung) beschlossenen und offengelegten Entwurf des Teilregionalplan Energie  im Zuge der Offenlage bereits wieder in Frage gestellt, was die fachliche Richtigkeit naturschutzrechtlich begründeter  Ausschlussflächen anging. In einem Begleitbeschluss zur 1. Offenlage des Teilregionalplans Energie wird die Einschränkungen der Windkraftplanung innerhalb der  Vogelschutzgebiete „Hoher Westerwald“ und „Vogelsberg moniert und „ deshalb werden FFH bzw. Natura 2000-Verträglichkeitsuntersuchungen insbesondere für die Artengruppen Vögel und Fledermäuse beauftragt“. Wir kritisieren nicht diesen Prüfauftrag, sondern dessen Zeitpunkt -  die Prüfung der Natura2000-Verträglichkeit wäre bereits vor einigen Jahren notwendig gewesen.  

 

Als dann diese Gutachten vorliegen tritt nicht die gewünschte Klarheit beim Entscheidungsprozess ein, sondern es entsteht ein neues Szenario: gemischte Besuchergruppen aus Behördenvertretern, Energieversorgungsunternehmen, Anwaltskanzleien und Gutachterbüros durchstreifen den Vogelsberg um einzelne Horststandorte zu überprüfen. Von Gegengutachten wird gesprochen, erstellt im Auftrag von Energieversorgungsunternehmen. Öffentlich zugänglich sind diese Dinge kaum. Während die HessenEnergie ernst zu nehmende Diskussionspapiere veröffentlicht sind die Aussagen von Kommunalpolitikern in nichtöffentlicher Sitzung wesentlich einfacher gestrickt: „Ein Gutachten, das unseren Stadtwald ausschließt, muss falsch sein“ – oder, gemäßigter in öffentlicher Sitzung: „Dadurch würden jedoch viele Standorte für Windkraftanlagen unbrauchbar……..wegen der abstrakten und nicht erwiesenen Gefahr für diese Vogelarten“ (Zitat aus oberhessen.live.de)

Sofern derartigen Intentionen nachgegeben wird, sehen wir erhebliche Risiken für die Rechtssicherheit der Regionalplanung.

2. Natura 2000-Verträglichkeitsprüfung für das Vogelschutzgebiet “Vogelsberg“ vom 26.02.2014 Was sagt das Gutachten und warum ist es wichtig

Das Gutachten gibt keineswegs die Maximalforderung  „der Naturschützer“ wieder. Es wäre nämlich eine – aus Sicht des Naturschutzes ebenfalls plausible -  Option gewesen, das Vogelschutzgebiet in Gänze zur Ausschlussfläche zu erklären.

Nach unserer fachlichen Einschätzung hält sich das Gutachten an folgende Linie: Die Erhaltungsziele in Bezug auf planungsrelevante Arten sind in Hessen gebietsbezogen in der Natura 2000-Verordnung des Landes Hessen vom 16.01.2008 aufgeführt. Die Natura 2000-Verordnung beinhaltet als maßgeblichen Bestandteile die Lebensraumtypen (LRT) nach Anhang I und die Arten nach Anhang II Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH-RL) der jeweiligen Natura 2000-Gebiete. In Bezug auf die Arten hat die Verordnung die Erhaltung bzw. Wiederherstellung des günstigen Erhaltungszustandes der benötigten Habitate inkl. ihrer Funktion für die Art zum Ziel. Das Gutachten prüft für alle vorgeschlagenen „Vorrangflächen“ ob der Bau und der Betrieb von Windkraftanlagen auf diesen Vorrangflächen den oben genannten Zielen entgegensteht. Das heißt dassErhalt oder Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes der zu betrachtenden Schutzgüter ( z.B. Schwarzstorch-, Rotmilan – etc. Populationen) erforderlich sind.

Die benutzte Datenbasis ist aussagekräftig und ausreichend und berücksichtigt:

·         Alle aktuellen Daten

·         Ergänzende Daten aus der Grunddatenerhebung (GDE), dem Landesentwicklungsplan (LEP) und der Vogelschutzwarte (VSW), sofern der aktuelle Bestand geringer ist oder räumliche Lücken zeigt als in der GDE angegeben

·         Sonstige verfügbare Gutachten zu Windenergieanlagen (WEA) im Bezugsraum

·         Bei Arten im ungünstigen Erhaltungszustand ergänzend alle Daten aus der GDE (inkl. Angaben zur Lage essentieller Habitate) sowie ergänzend verfügbare Daten ab dem Zeitpunkt der Gebietsmeldung.

(Wiedergabe nach S.38 des Gutachtens)

 

Sofern  einzelne Horstdaten zu aktualisieren sind (z.B. Wegfall eines Horststandorts nach Windbruch)  sollte das  selbstverständlich nachgetragen werden, ist aber fachlich unerheblich.  Die Bedeutung des Vogelschutzgebietes Vogelsberg  ist gemäß Standard-Datenbogen (SDB) zur Gebietsmeldung an die EU-Kommission gegeben als eines der fünf besten hessischen Gebiete für Brutvogelarten des Anhangs I und Zugvögel nach Art. 4 (2) der EU-Vogelschutz-Richtlinie, sowie als bedeutsamstes hessisches Gebiet für einige besonders wichtige Arten mit europaweiter Verantwortung wie Rotmilan, Schwarzstorch, Neuntöter und Raubwürger. Diese Tatsache wird durch punktuelle Korrekturen nicht in Frage gestellt.

Auch aus methodischen Gründen sind die, nach unserer Kenntnis im Rahmen der genannten „Bereisungen“ mehrfach skandalisierten, Abweichungen des zusammenfassenden Gutachtens gegenüber dem aktuellen Brutbestand ohne Belang. Die Gutachter vermerken dazu richtig : „* bei Arten mit ungünstigem (schlechtem) Erhaltungszustand werden die Anzahl der Reviere etwa zum Zeitpunkt der Gebietsmeldung als Potenzial mit angegeben.“ Wenn also der planungsrelevanten Art Schwarzstorch mit derzeit 7 Brutpaaren ein sehr ungünstiger Erhaltungszustand  bescheinigt wird – gegenüber 10-15 Brutpaaren zum Zeitpunkt der Gebietsmeldung hält das nach unserer fachlichen Einschätzung jeder Überprüfung stand. Dabei ist es unerheblich, ob der Rückgang des regionalen Bestands mit dem Ausbau der Windenergie ursächlich zusammenhängt oder andere Ursachen wie die geänderte waldbauliche Nutzung oder die Gefährdung im Winterquartier in Frage kommen. Nach § 34 BNatSchG Abs.2 ist ein Projekt dann unzulässig „sofern es zu erheblichen Beeinträchtigungen des Gebiets in seinen für die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck maßgeblichen Bestandteilen führen kann“.

 

Die  Einstufung bestimmter „Schwarzstorch-kritischen“ Vorrangflächen in die Kategorie „Erhebliche Beeinträchtigungen können nicht ausgeschlossen werden“ erscheint uns deshalb in jedem von uns bisher überprüften Fall plausibel.

 

Die im Weltmaßstab betrachtet hohe hessische Schutzverantwortung für den Rotmilan muss in der Bewertung in ebensolcher Weise  berücksichtigt werden – insbesondere vor dem Hintergrund der Störempfindlichkeit und der Schlagopfer-Statistik.

 

3. Natur und Recht sind  nur sehr bedingt kompromissfähig

Gemäß einer Pressemitteilung des Regierungspräsidium Gießen vom März 2014 hat „das Präsidium der Regionalversammlung Mittelhessen im Zuge der Aufstellung des Teilregionalplans Energie die Obere Landesplanungsbehörde beim Regierungspräsidium (RP) Gießen beauftragt, die vorliegenden avifaunistischen Gutachten zu ergänzen. Mit diesem Zwischenschritt soll die Rechtssicherheit des Plans untermauert und gleichzeitig dem Ansinnen jener Kommunen im RP-Bezirk entgegengekommen werden, die die Errichtung von Windenergieanlagen in ihrem Bereich anstreben.
Wir fürchten aber, dass es einen goldenen Mittelweg zwischen der wissenschaftlich abgesicherten  Begründung für Ausschluss- und Vorrangflächen (nach den Kriterien des „günstigen Erhaltungszustands“) und den „Ansinnen der Kommunen“ dann nicht geben kann, wenn dieses Entgegenkommen Ausweisung zusätzlicher Flächen auf gemeindeeigenem Gebiet unter Umgehung der  Schutzziele bedeutet.
Dass die Gemeinden des Vogelsbergs an den Einnahmen aus der Windkraftnutzung profitieren wollen ist ein legitimes Ansinnen. Dieses Ansinnen darf aber nicht mit der Aufgabe von Schutzstandards befriedigt werden, sondern auf andere Weise. Den Schlüssel dazu hat das Land Hessen in der Hand. Ein großer Teil der uns bekannten Windvorrangflächen befindet sich im Eigentum des Landes. Hier wäre eine faire Teilung des Ertrags zwischen dem Land als Grundeigentümer und den benachbarten Kommunen möglich.

Wenn aber der goldene Mittelweg tatsächlich ein Abweichen vom Pfad des Rechts ist, dann  sind  gerichtliche Überprüfung  auf der Ebene des Planungsrechts und des Baurechts ebenso zu befürchten wie schmerzhafte Fehlerkorrekturen.

4. Warum geht es nicht ohne saubere Steuerung:

Wenn das Land Hessen die Verpflichtungen aus EU-Recht (und die wichtigere Verpflichtung gegenüber kommenden Generationen) ernst nimmt, dann sind die steuernde und ausschließende Wirkung der Regionalplanung  unverzichtbar. Ohne diese wäre das aufwendige Teilregionalplan-Aufstellungsverfahren in Gänze entbehrlich. Denn eine fachlich einwandfreie Prüfung der artenschutzrechtlichen und der Natura 2000 Verträglichkeit kann im Rahmen der standardmäßigen Baugenehmigung nach Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG) leider nicht immer vorausgesetzt werden. Selbstverständlich kann die sorgfältige Ausweisung von Gunst- und Ausschlussflächen auf der Ebene der Regionalplanung nicht die Prüfung im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens ersetzen. Die Ausweisung von – aus artenschutzrechtlicher Sicht - unzulässigen  Flächen bedeutet:

 

1. Den wissentlichen Verstoß gegen das Verschlechterungsverbot  bzw. Entwicklungsgebot mit allen Konsequenzen was den Rechtsbestand des Planwerks angeht.

2. Einen Affront  gegen den berechtigten Anspruch der Projektierer und Investoren auf  ein Höchstmaß an Rechtssicherheit und Planungssicherheit als Produkte einer stabilen staatlichen Vorplanung.

Dem Regierungspräsidium sind diese Defizite bekannt. Wir befürchten, dass Unzulänglichkeiten bei der Erstellung der Genehmigungsunterlagen nicht aufhören, wenn der neue Teilregionalplan Energie rechtskräftig ist. Denn die Projektierer werden - soweit uns Einschätzungen der Branche zugänglich sind – alles daransetzen mit ihren  Anlagen bis Ende 2016 ans Netz zu gehen. In diesem kleinen Zeitfenster wird dann unter großem Druck geplant werden müssen. Die Natur darf dabei nicht  unter die (Wind) Räder kommen. Die Regionalplanung kann das Instrument sein,  die Kapazitäten auf zweifelsfrei genehmigungsfähige Standorte zu konzentrieren. Solche Standorte bieten das höchstmögliche Maß an Planungssicherheit. Das bedeutet, dass die Kräfte bei Projektierern, Genehmigungsbehörde und (nach Möglichkeit örtlichen) Investoren auf die „besten“ Standorte fokussiert werden.

Wir hoffen daher sehr, dass die Planungsfachleute des Regierungspräsidiums dem Rufen nach einer „Verwässerung“ der vorliegenden Fachgutachten standhalten, im Sinne einer rechtssicheren Fachplanung und im Sinne des Erhalts des Vogelschutzgebiets Vogelsberg. Wir anerkennen dabei ausdrücklich die gute Zusammenarbeit und die  Einbeziehung der Naturschutzverbände im Vorfeld der Aufstellung des aktuellen Teilregionalplans und bieten weiter unsere örtliche Kenntnis  an.

 

Für die Arbeitsgemeinschaft der Naturschutzverbände im Vogelsbergkreis:

 

NABU-KV Vogelsberg:

Karl-Heinz Zobich. Torstraße 10, 35315 Homberg/Ohm

Axel Rockel, Zwiefaltener Str. 21, 63679 Schotten

 

BUND-KV Vogelsberg:

Dr. Wolfgang Dennhöfer, Am Triesch 21, 36304 Alsfeld

 

HGON – AK Vogelsberg:

Andreas Wellstein, Sonnenweg 45, 36341 Lauterbach-Blitzenrod

 

SDW - Kreisverband Vogelsberg:

Hans-Jürgen Rupp, Stormstraße 6, 36329 Romrod